Bundesgerichtshof bestätigt Kartellamtsentscheidung zu Facebook – Alternative Mitgliedschaftsmodelle als Lösungsansatz?

10. Juli 2020

(Stefan Höfling und Marianne Leikam)

Nach einem Beschluss des Bundesgerichtshofs vom 23. Juni 2020 (BGH, Pressemitteilung 80/2020, Az. KVR 69/19; Beschluss selbst noch nicht veröffentlicht) wurde die sofortige Vollziehbarkeit der Entscheidung des Bundeskartellamts wegen des Vorwurfs gegen Facebook, Facebook würde durch die Verwendung seiner Nutzungsbedingungen eine marktbeherrschende Stellung missbräuchlich ausnutzen, bestätigt. Das Oberlandesgericht Düsseldorf, bei dem das Verfahren in der Hauptsache weitergeführt wird, hatte als Vorinstanz anders entschieden.

Verfügung des Bundeskartellamts gegen Facebook und Beschwerde vor dem Oberlandesgericht Düsseldorf

Im Februar 2019 beendete das Bundeskartellamt das gegen Facebook geführte Verwaltungsverfahren mit einer sofort vollziehbaren Verfügung, mit der es dem Unternehmen weitreichende Beschränkungen bei der Verarbeitung von Nutzerdaten, insbesondere über mehrere Dienste hinweg, auferlegte. Künftig sollte Facebook gesammelte Nutzerdaten nur noch dann in dem jeweiligen Nutzerkonto bei Facebook zusammenführen dürfen, wenn der Nutzer in die Datensammlung und Zusammenführung (bei Drittwebseiten) bzw. in die Zusammenführung (bei konzerneigenen Diensten, z.B. WhatsApp) ausdrücklich und freiwillig einwilligte.

Die Datensammlung und deren Zusammenführung erfolgte bisher einerseits bei Nutzung von Facebook und anderen Facebook angehörenden Diensten und andererseits auch bei dem Besuch von Drittseiten, wenn über bestimmte technische Einrichtungen (z.B. einen Like-Button) oder durch die Verwendung einer Analysesoftware von Facebook (z.B. über Cookies) eine Schnittstelle zu Facebook eingerichtet ist, was auch auf vielen (Dritt-)Webseiten der Fall ist. Zur Abschaltung bzw. Eindämmung dieser Praxis sollte Facebook binnen eines Jahres Lösungsvorschläge ausarbeiten und mit dem Amt abstimmen.

Gegen den Beschluss legte Facebook Beschwerde vor dem Oberlandesgericht Düsseldorf ein und war mit einem Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung dieser Beschwerde erfolgreich. Das Oberlandesgericht Düsseldorf hatte ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Verfügung des Bundeskartellamtes und hielt damit die Aufhebung der Verfügung des Bundeskartellamtes im Hauptsacheverfahren für überwiegend wahrscheinlich. Insbesondere sah das Gericht keinen Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung durch Facebook und konnte auch keinen Schaden für den Wettbewerb erkennen. Facebook musste also zunächst vorläufig keine Änderungen der Nutzungsbedingungen vornehmen.

Bestätigung des Sofortvollzugs der Verfügung des Bundeskartellamts durch den Bundesgerichtshof

Zu einem anderen Ergebnis als das Oberlandesgericht Düsseldorf kam nun der Bundesgerichtshof. Der Bundesgerichtshof bestätigte die Ansicht des Bundeskartellamtes und stellte den Sofortvollzug der Verfügung des Bundeskartellamts wieder her. Facebook hat sich nun – jedenfalls bis zu einem rechtskräftigen Abschluss des Hauptverfahrens – wieder an die vom Bundeskartellamt vorgegebenen Beschränkungen bei der Datenverarbeitung zu halten. Der Bundesgerichtshof sieht eine marktbeherrschende Stellung von Facebook auf dem deutschen Markt für soziale Netzwerke und hat keine ernsthaften Zweifel daran, dass Facebook durch sein Vorgehen im Bereich der Datenverarbeitung diese Stellung missbraucht.

Allerdings stützt der Bundesgerichtshof seine Einschätzung nicht – wie das Bundeskartellamt – auf einen Verstoß gegen die Datenschutzgrundverordnung (DSGVO), sondern sieht den Missbrauch vielmehr schon darin, dass den Facebook-Nutzern grundsätzlich keine Wahl gelassen wird, in welchem Ausmaß Daten durch Facebook gesammelt werden. Aufgrund der überragenden Marktmacht von Facebook auf dem deutschen Markt für soziale Netzwerke (je nach Sichtweise zwischen 80 % und 95 %)  – es gibt neben Facebook keine nennenswerten Wettbewerber; Google+ hat z.B. seinen Betrieb bereits im Jahr 2019 eingestellt – stehen Nutzer laut dem Bundesgerichtshof vor einer „Alles-oder-Nichts“-Wahl. Entweder Nutzer nutzen Facebook und akzeptieren die umfassenden Nutzungsbedingungen einschließlich der massiven Datenverarbeitung, oder sie vermeiden die Datenpreisgabe und nutzen Facebook überhaupt nicht, wobei sie keine Ausweichmöglichkeiten auf andere vergleichbare Anbieter sozialer Netzwerke haben, die in einem überschaubareren Rahmen Daten verarbeiten. Würde es einen funktionierenden Wettbewerb und somit vergleichbare Anbieter geben, würde darüber laut dem Bundesgerichtshof eine Kontrolle der Marktteilnehmer auf der Angebotsseite und ihrer Nutzungsbedingungen stattfinden. Mangels Wettbewerbes und Kontrolle kann Facebook den Nutzern Nutzungsbedingungen auferlegen, die ein Nutzer bei bestehenden Ausweichmöglichkeiten nicht akzeptieren müsste. Aufgrund der die Datenverarbeitung umfassenden Nutzungsbedingungen liegt laut dem Bundesgerichtshof auch eine Wettbewerbsbehinderung vor. Ein ausgeprägter Zugang zu Daten ist sowohl auf dem (online) Werbemarkt – auf dem Facebook ebenfalls tätig ist – als auch auf dem Markt für soziale Netzwerke ein wichtiges Kriterium. Je mehr Daten Facebook sammeln kann, desto größer werden die (bestehenden) Lock-in-Effekte und es wird für mögliche Wettbewerber noch schwerer, mit Facebook in Wettbewerb zu treten, bzw. für Nutzer, zu anderen Anbietern zu wechseln.

Das Oberlandesgericht Düsseldorf hatte in seiner Entscheidung die Auffassung vertreten, dass die Preisgabe von Daten nicht mit einer wirtschaftlichen Schwächung der Nutzer einhergeht, wie es bei der Entrichtung von Geld der Fall wäre. Insbesondere verneinte das Oberlandesgericht dies mit der Begründung, dass Daten duplizierbar seien und an beliebig viele Anbieter weitergegeben werden könnten. Es ist damit der These entgegengetreten, dass Daten in der heutigen digitalisierten Welt einem Zahlungsmittel gleichzusetzen sein können. Darüber hinaus führte das Oberlandesgericht Düsseldorf unter Ziehen einer Parallele zur Sittenwidrigkeit von Geschäften aus, dass sittenwidrige Entgelte erst dann auch kartellrechtlich relevant, weil missbräuchlich, wären, wenn sie im Falle eines hypothetischen Wettbewerbsszenarios nicht entstanden wären. Im Ergebnis verneinte es somit die Schädigung des Wettbewerbes durch das Verhalten von Facebook.

Der Bundesgerichtshof hat mit seiner Entscheidung ein gutes Gespür für die Realität in der aktuellen digitalen Welt der Online-Plattformen und -Netzwerke gezeigt. Daten sind in der digitalen Welt ein Zahlungsmittel. Unternehmen, die dieses Zahlungsmittel akzeptieren bzw. als einzige Möglichkeit der „Zahlung“ voraussetzten, können auch die „Preise“ durch z.B. alternativlose umfassende Einwilligungen des Nutzers in die Erhebung und Verarbeitung diktieren, wenn sie über eine entsprechende Marktmacht verfügen. Eine solche Marktmacht kann dabei gerade durch große Nutzerzahlen und damit einhergehenden Netzwerkeffekten entstehen. Nutzer müssen sich also entscheiden, ob sie bereit sind, diesen Preis zu zahlen oder ob sie auf Kosten einer modernen Kommunikation und Kontaktpflege lieber vollständig auf die Nutzung verzichten.

Alternative Mitgliedschaftsmodelle als Lösungsansatz?

Bisher muss ein Facebook-Nutzer, der „mitspielen“ möchte, bereit sein, mit der umfassenden Preisgabe von Daten sowie deren Verarbeitung und Verknüpfung – über die einzelne Plattform hinweg – zu zahlen. Alternative „Zahlungsmöglichkeiten“ existieren gegenwärtig nicht.

Um aber nicht dem Vorwurf solcher „Alles-oder-Nichts“ Bedingungen als absolute Teilnahmeschranke am sozialen Netzwerk ausgesetzt zu sein, könnte daher ggf. auch über alternative Teilnahmeangebote nachgedacht werden. Als rechtlich denkbar naheliegendste Vermeidung dürfte zwar zunächst eine (erhebliche) Einschränkung des Umfangs der Datenerhebung und -verarbeitung in Betracht kommen. Ob eine solche generell sparsamere Datenerhebung und-verarbeitung jedoch noch wirtschaftlich sinnvoll und auch nach Abwägung aller rechtlichen Belange interessengerecht ist, scheint zumindest fraglich.

Möglicherweise läuft die aktuelle Entwicklung vielmehr darauf hinaus, alternative Mitgliedschaftsmodelle nebeneinander anzubieten, um dem Teilnehmer am sozialen Netzwerk die Entscheidung des „Zahlungsmittels“ zu überlassen. So wäre z.B. eine kostenpflichtige Mitgliedschaft ohne umfassende Datenerhebung und -verarbeitung denkbar. Eine andere Alternative wäre, ähnlich wie z.B. im Bereich des Musik-Streamings, eine eingeschränkte Nutzungsmöglichkeit und eine intensivere Werbung beim Nutzer zu schalten, wobei dann auf die umfassende Datensammlung und -verarbeitung verzichtet wird. Ähnlich wie z.B. im Bereich der Immobilienvermittlungs-Onlinedienste oder der sozialen Business-Netzwerke bekannt, könnte auch eine Premium-Mitgliedschaft eingeführt werden, die bei Zahlung – sei es mit Geld oder Daten – ein mehr an Nutzungsmöglichkeiten eröffnet (z.B. Upload von Bildern oder deren Veröffentlichung in höherer Qualität, erweiterte (premium) Messenger Funktionen etc.). Die Grundfunktionen des sozialen Netzwerks müssten jedoch bei der Basis-Mitgliedschaft gewahrt bleiben.

Als Wahlmöglichkeit bliebe neben diesen alternativen Modellen dann darüber hinaus immer die vollumfängliche Plattform-Nutzung unter gleichbleibender Datensammlung und Zusammenführung, wie diese von Facebook aktuell gehandhabt wird.

Mit dem Angebot von alternativen Mitgliedschaftsmodellen könnte Facebook zumindest dem Vorwurf entgegentreten, die Nutzer hätten keine Wahlmöglichkeiten. Zwar müssten „Einschränkungen“ hingenommen werden (monetäres Entgelt, bzw. eingeschränkte Nutzungsmöglichkeiten), jedoch könnten die Nutzer an der Kommunikation über Facebook und dem sozialen Netzwerk selbst weiterhin teilnehmen, ohne dafür zwangsweise und ausschließlich mit ihren persönlichen Daten zu „zahlen“. Der Nutzer hätte also die Wahl welches Zahlungsmittel er für die Nutzung des sozialen Netzwerkes einsetzt. Ob die vorstehend angerissenen Lösungsvorschläge den Behörden und den Gerichten für eine kartellrechtliche Unbedenklichkeit ausreichen, ist offen.

Fazit

Es bleibst spannend wie der Bundesgerichtshof seine Entscheidung dann letztendlich in dem Beschluss, der bisher noch nicht veröffentlicht wurde, genau begründet. Absehbar scheint jedoch zu sein, dass der Beschluss des Bundesgerichtshofs die Bemühungen des Bundeskartellamts auf nationaler Ebene, aber auch anderer Wettbewerbsbehörden auf internationaler Ebene, stützt, der zunehmenden Datensammlung und -verarbeitung der großen Internetkonzerne unter Ausnutzung erheblicher Netzwerkeffekte und der dadurch entstehenden Gefahr eines sog. „Tipping“ von Märkten hin zu Monopolen einzelner Online-Plattformen und -Netzwerken rechtlich zu begegnen. Der Bundesgerichtshof vertrat eine Rechtsauffassung, die wegweisend für andere Gerichte und Behörden in zukünftigen Verfahren sein kann. Zwar bleibt das Ergebnis des Hauptverfahrens abzuwarten. Jedoch hat der Bundesgerichtshof schon jetzt mit einer für ein vorläufiges Verfahren unüblichen Tiefe entschieden, die dem Oberlandesgericht Düsseldorf als zuständigem Hauptsachegericht wenig Spielraum für eine anderslautende Entscheidung lassen dürfte. Daher wird von gesteigertem Interesse sein, welche neuen Wege nach der Entscheidung des Bundesgerichthofs einerseits von Facebook und anderen Online-Plattformen und -Netzwerken beschritten werden und andererseits, wie diese alternativen Wege von den Behörden und Gerichten letztlich beurteilt werden. Es bleibt zudem abzuwarten wann und wie sich die Europäischen Gerichte, z.B. aufgrund der Vorlage durch ein nationales Gericht beim Europäischen Gerichtshof erstmals mit dieser Thematik umfassend zu befassen haben.